Sawubona
„Sawubona“ - ich sehe dich. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt dir. Ich achte auf deine Haltung. Sehe dir in die Augen. Ahne deine Fragen und Zweifel.
Fühle deine Hilflosigkeit und Trauer. Aber ich höre auch dein Lachen. Betrachte die Leichtigkeit deiner Füße. Und bemerke das Lächeln in deinen Augen.
„Sawubona“ ist der gebräuchlichste Gruß bei den Zulus in Afrika. Es meint „Guten Tag“ und zugleich bedeutet es: „Ich sehe dich. Du bist mir wichtig. Ich schätze dich.“
Nicht gesehen oder auch übersehen zu werden, nagt am Selbstbewusstsein und geht häufig einher mit dem Gefühl ungeliebt und wertlos zu sein. Wer nicht gesehen wird, fühlt sich alleine und mitunter verloren. Es kann eine sehr schmerzliche Erfahrung sein: Niemand interessiert sich dafür, wer ich bin, was ich denke, fühle, mache … Niemand sieht meine Lebenssituation, hat eine Ahnung davon, was ich gerade durchmache. Aber auch meine Freude, mein Lachen kann ich mit niemandem teilen.
Hagar musste sich so fühlen. Allein in einem fremden Land. Schwanger von einem alten Mann. Dessen Frau hatte die grandiose Idee: Wenn sie dem Abram schon keine Nachkommen schenken könne, dann sicher die junge ägyptische Magd, Sarais Sklavin. Doch während der Schwangerschaft kommt es zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen. Es geht um Neid und Eifersucht. Am Ende ist Hagar am Ende. Sie hält die Demütigungen Sarais nicht mehr aus und flieht in die Wüste.
Allein unterwegs in der sengenden Hitze. Kein Ziel vor Augen. Nur weg. Weg aus dem Leben, das unerträglich geworden ist. Wie soll es bloß weiter gehen? Schwanger. Weltverloren. Die Wüste ist kein Ort der Hoffnung, kein Ort zum Leben.
Hagar läuft und läuft bis sie eine Wasserquelle findet. Dort wird sie selbst gefunden. Gefunden von einem Mann, er wird als Engel bezeichnet, der ihren Namen kennt. „Hagar, wo kommst du her und wo willst du hin?“
Das Woher ist bekannt. Das Wohin dagegen nebulös. „Kehre um, gehe zurück.“ Die Aufforderung des Engels erscheint zunächst wie eine Zumutung. Doch mit dem Zurückgehen ist eine Verheißung verbunden. Hagar und ihrem zukünftigem Sohn Ismael werden viele Nachkommen und damit eine Zukunft versprochen.
Tief berührt von der Begegnung gibt Hagar Gott einen Namen. El Roi. Der Gott, der mich sieht.
Der Gott des Lebens wendet sich Hagar zu. Er weiß um ihre Hilflosigkeit, um ihre Verzweiflung um ihre Perspektivlosigkeit. Er nennt ihren Namen. So blüht mitten in der Wüste Hoffnung.
Vielleicht ist der Weg zurück leichtfüßig. Voller Lebensmut. Und vielleicht hört man in der Wüste Hagars Gesang und ihr Lachen. Und El Roi lacht auch.
Hagar geht zurück zu Abram und Sarai. Dort bringt sie ihren Sohn Ismael zur Welt. Leichter wird das Leben von Hagar aber nicht. Irgendwann muss sie wieder fort. Diesmal wird sie von ihrer Herrin in die Wüste geschickt. Vertrieben. Am Rande des Todes erscheint ihr Gott erneut. Er bewahrt sie und ihren Sohn von dem Verdursten und zeigt ihnen einen Weg zum Leben.
EL Roi. Ich sehe dich. In der Verlorenheit und Einsamkeit unseres Lebens. Aber auch in den fröhlichen Stunden.
Der, der mich sieht, sieht mich an allen Tagen, in allen Lebenslagen. „Sawubona“ - ruft Gott mir jeden Tag zu. Und wir dürfen das auch. Einander sagen: Ich sehe dich. Du bist mir wichtig!
(Elke Böhnke)